Mini-Projekt „Wiegen“

Projekt Gewichte

Projekt Gewichte – Josi möchte eine Waage bauen

von Rüdiger Horstmann

Josi und ich gingen den sonnigen Gaisberg hinauf, um uns dem Thema Gewicht zu nähern. Josi’s Assoziationen kamen spontan und genau: „ Mit kg hat das zu tun und mit kaufen, Sachen kaufen im Lagerhaus oder im Laden. Und mit Medizin“.  „Wieso mit Medizin?“ fragte ich ihn erstaunt. „Na, weil der Tierarzt der Kuh mehr Medizin in die Spritze gibt, wenn sie schwerer ist.“ Da hat er Recht – also gibt es auch ein wichtiges Verhältnis von kg zu anderen Maßeinheiten. Nur kurze Zeit später sprudelt sein Wunsch aus ihm heraus: „ er wolle schon lange gern mal eine Waage bauen. Dann würde er alles wiegen, das sei lustig. Sachen suchen die gleich viel wiegen, ausprobieren, mit kleinen Steinen ausgleichen“. Wir beschlossen sogleich zu versuchen, seinen Wunsch in die Tat umzusetzen.

Materialsuche
Auf dem Fußweg zurück zur Hofschule, suchte Josi etwas, von dem er meinte, es sei ein kg schwer. Nach einer enormen Steinplatte, die er kaum zu heben vermochte, entschied er sich für einen Pflasterstein, der vor dem neuen Stall übrig geblieben war. Dort lagen auch noch Schwarten (äußere Stammabschnitte) von den schwachen Fichten herum, die der Opa gerade zu Brennholz aufarbeitete. Eine nahm ich mit, schließlich brauchen wir ja zum justieren unserer Waage eine Skala.
Welche Waagen er denn kenne, das wusste Josi nach kurzem ebenfalls zu benennen, die Wippe und die Spirale, an letzterer wird das Schlachtvieh vom Tierarzt gewogen.
Wir entschieden uns, eine Waage zu bauen, an die wir etwas dranhängen können. Ich dachte gleich an den alten Expander im Kofferraum meines Wagens, da mir keine geeignete Stahlspirale einfiel. Eine Plastiktüte lag auch im Kofferraum und erschien mir nützlich, um das zu Wiegende hineinzulegen.

Was ist ein Kilogramm
 „Aber wie können wir denn wiegen, wenn wir keine Anzeige haben, wie viel die Sachen, die wir an die Waage hängen, wiegen?“ fragt Josi vollkommen zu recht. „Vielleicht können wir uns ja die Waage selber einstellen, aber da brauchen wir etwas, dessen Gewicht wir kennen, um unsere Waage zu justieren, – so nennt man das Einstellen einer Waage.“ „Ich suche einen Stein, der ein Kilogramm wiegt“ und schon schnappt sich Josi strahlend eine Steinplatte der Beetbegrenzung neben dem Weg. „Was ist denn ein Kilogramm?“ frage ich und “ Was kennst Du denn, was ein Kilogramm wiegt?“ frage ich ihn weitergehend. „Was heißt ein Kilogramm eigentlich?“ fragt Josi und schaut mich neugierig an. Auf mein Frage, ob er wisse was ein Kilometer ist, antwortet Josi „Na klar, 100 Meter, – äh- nein, tausend Meter, glaube ich.“ „Genau richtig“ sage ich, „ und wie viel Gramm sind dann ein Kilogramm?“ Kein Problem für Josi, der konzentriert an unserem Thema dran ist.
Josis Augen blitzen, er grinst ein wenig und legt seine Steinplatte wieder auf den Boden. „Die ist zu schwer“ sagt Josi aus einem richtigen Gefühl heraus, „das ist mehr als ein Kilo“. „ Ich glaube Du legst die Steinplatte besser dahin zurück, wo Du sie aufgehoben hast – sonst gibt es bald keine Beeteinfassung mehr.“ Josi legt die Platte an ihren Platz und sieht einen Pflasterstein, „der hat ein kg“ sagt er und scheint sich sicher zu sein.  Woher weißt Du, wie schwer ein Kilogramm ist?“ Josi überlegt – zögert, aber dann kommt eine Idee „vom Einkaufen?“ formuliert er mehr als Frage. „Ja, vollkommen richtig, da gibt es viele Sachen die ein Kilo wiegen. Reis, Mehl und Wasser, ein Liter Wasser wiegt auch ein Kilo“ sage ich.

Nachprüfen ist wichtig
Zufällig kommt gerade Manuela hinzu und hört was ich gesagt habe. „Das glaube ich nicht“, sagt sie. „Wieso wiegt ein Liter Wasser ein Kilogramm?“ Ich weiß keine Antwort und Manuela fragt Josi, ob sie meine Aussage zusammen in der Küche überprüfen sollen. Josi ist begeistert und sofort gehen die Beiden los, um zu prüfen. Nach ein paar Minuten sind sie wieder da und wissen: „ein Liter Wasser wiegt 0,98 kg“. Ich wundere mich und sage scherzend: “Ist eure Waage auch korrekt eingestellt?“

Die Prüfbedingungen
„Wenn ja, dann kann ich mir nur vorstellen, dass die Höhe einen Einfluss auf das Gewicht hat. Die Temperatur, bei der Wasser normalerweise kocht ist 100 °C. Normal hat man früher mal festgelegt, ist die Meeresoberfläche, die Meereshöhe, so sagt man, Auf dem Berg, also bei zunehmender Höhe über dem Meeresspiegel, sinkt die Temperatur, Wasser kocht also früher,“ soweit meine Ausführungen.  „Was hat denn das Meer mit dem Wasser zu tun und mit Gewicht und der Temperatur von kochendem Wasser?“, fragt Josi, den das wirklich zu interessieren scheint! „Ich kann es Dir nicht genau erklären“, sage ich, „aber was ich weiß, ist, dass die Bedingungen im Tal oder am Meer anders sind, als hier oben in 700 m Höhe, auf dem Berg. Dabei gibt es sichtbare oder spürbare Bedingungen wie Wind, Temperatur, Nebel aber auch Einflüsse, die wir nicht unmittelbar wahrnehmen. Ich glaube, dass der unterschiedliche Luftdruck einen Einfluss auf die Temperatur hat, bei der Wasser kocht, so wie der Luftdruck in deinem Fahrradreifen einen Einfluss darauf hat, wie Du die Schlaglöcher spürst, durch die Du fährst. Wahrscheinlich wirkt der geringere Luftdruck hier oben, auch auf die Waage, aber wenn es dich genauer interessiert, muss ich mich auch schlau machen und es mir erst einmal erklären lassen“. Ich bin verunsichert, da ich mich auf dünnes Eis begeben habe, Josi hingegen ist zufrieden und hat keine weiterführenden Fragen, die ich nicht beantworten kann.

Die Waage wird gebaut
Als erstes nageln wir die Holzschwarte neben der Eingangstür an die Wand, um unsere Ergebnisse darauf eintragen zu können. Während Josi die Schwarte in der Werkstatt auf die richtige Länge zusägt, fällt mir eine Stahlfeder auf, die unter der Werkbank liegt. Nun haben wir mit dem Expander begonnen, dann machen wir damit auch weiter, damit der Faden des Bauens nicht abreißt, entscheide ich. Dann macht Josi, an der Unterseite des Hackens des Expanders, an dem die leere Plastiktüte hängt, einen Strich mit der Markierung 0 auf der Schwarte. Anschließend füllt er einen Liter Wasser nach dem anderen in die Tüte und markiert jedes Mal die neuerliche Ausdehnung des Expanders auf der Schwarte. So wächst unsere Skala bis 5 kg an. Josi gießt das Wasser aus und legt seinen Pflasterstein in die Plastiktüte, 2 kg zeigt unsere selbstgebaute Waage und Josi strahlt. Beim Pausenzeichen treten einige der umstehenden Kinder heran, und lassen sich von Josi den Bau erklären. Dann verschwindet die Meute mit Gebrüll.

Wer sich selber wiegt, weiß, wie schwer er ist
Über unseren Köpfen ist die Terrasse und ich sehe einen Holzbalken, aus dem ein fingerdicker Eisendorn ca. 15 cm heraus ragt. Mir fällt die Stahlfeder in der Werkstatt wieder ein und ich frage Josi, ob er sich selber wiegen will. „Das hält der Expander nie aus“ ruft er lachend, „der ist viel zu schwach“. Wir untersuchen die Stahlfeder und Josi versucht, diese auf den Stahlstift oben auf dem Balkon zu stecken. Die Öffnung ist zu eng und mit der Hand haben wir keine Chance, sie aufzubiegen. Wie können wir die aufbiegen, frage ich und staune nicht schlecht, als Josi antwortet: „einspannen und mit einem Hebel aufbiegen“. „Wie geht das, wie machst Du das?“ frage ich und er macht es mir vor. Die Stahlfeder streckt er in den Schraubstock und mit dem Griff von der Kneifzange biegen wir die Öffnung, soweit wie wir sie brauchen.

Lernräume anbieten, nicht belehren
 „Interessiert dich, warum der Hebel mehr Kraft entwickelt?“ frage ich. „Nein, das hat mit der Übersetzung zu tun“ weiß Josi, aber jetzt ist ihm die Waage wichtig. Die Feder passt und Josi steckt sie auf den Stahldorn, den wir auf der Terrasse gut befestigt haben. Direkt hinter der Stahlfeder haben wir ein Gegenlager untergelegt, dass das funktioniert weiß Josi auch, hier interessiert ihn das „warum“ im Moment nicht. Noch einen Griff aus einer Holzlatte geformt und durch die herunterhängende Öse der Stahlfeder gesteckt und die 0 Markierung auf unserer Schwarte verzeichnet, – unsere Personenwaage ist fertig.
Mit beiden Händen klammert sich Josi an den Griff und die Stahlfeder gibt ein wenig nach. Ich mache einen Strich auf das Holz und schreibe Josi daneben. Ein Schüler nach dem anderen und die anwesenden Lernbegleiter/innen hängen sich an Josis Waage, während er erklärt, wie wir sie gebaut haben. Ich bin mit Abstand der schwerste und der Holzgriff bekommt einen kleinen Riss, bei meinen 96 kg. Gelächter und große Freude in der Runde – die Stimmung ist hervorragend.

Spielend lernen – machen, probieren, beobachten
Wir haben noch Zeit  und Josi untersucht die Bretter auf der Terrasse. Wir legen einen Holzbalken in der Mitte unter ein Brett und stellen uns, jeder an ein Ende des Brettes. Josi hängt strahlend in der Luft und ich drücke mein Brett-Ende auf den Boden. „Und wie kommst Du da wieder runter, wenn ich auf der Waage bleibe?“ frage ich ihn. „Da muss noch jemand zu mir rauf kommen, damit wir schwerer sind“ benennt Josi einen Weg.  „Gib Acht, dass du nicht runter fällst“ sage ich und rutsche ganz langsam mit meinen Füßen Richtung Mitte der Waage. Erst passiert eine Zeitlang nichts, dann beginnt sich die Waage langsam zu bewegen. Je weiter ich in die Mitte rutsche, desto weiter sinkt Josi herunter und hebt mich hinauf. „Hey Josi, machst du dich schwerer, was passiert hier, – ich will wieder runter.“ Josi lacht vergnügt und strahlt: „Na“ sagt er, “du bist leichter geworden. Nein, das ist auch wieder die Übersetzung.“ Wir machen, indem wir unsere Positionen auf dem Brett verändern, ein Paar Experimente. Dann gehen wir in die Werkstatt, wo wir unseren Arbeitsplatz noch säubern und aufräumen müssen.

Die uralte Waage – von kurzem Interesse
Ich habe eine alte Waage und ein kleines Holzkistchen mit Gewichten mitgebracht und aufgestellt, während Josi auf der Toilette war. Auf der Werkbank liegen ein kurzes Holzbrett und darauf die vor einigen Tagen, von den Kinder gekneteten, etwa gleich großen und schweren Tonwürfel. Josi nimmt die Würfel, unterlegt das Brett in der Mitte mit einem Holzstück und baut so unseren Versuch von der Terrasse draußen nach. Wir sind seine Tonwürfel.
Josi ist jetzt, nach fast 90 Minuten Physikunterricht voll in seinem Element und hochkonzentriert, selbsttätig im Thema. Er verschiebt die Tonwürfel, dann die Mittelauflage der Waage und schließlich dokumentieren wir auf einem Blatt Papier, mit wie viel cm längerem Hebel, ein leichteres Gewicht ein Schwereres ins Gleichgewicht bringen kann. Josis Satz: „der längere Hebel hilft dem kleineren Gewicht“ zeigt, dass er nun etwas tiefergehend verstanden hat, was er schon vor dem Unterricht intuitiv wusste: „das hat was mit der Übersetzung zu tun“.

Das Kräftedreieck
Die heruntergedrückte Seite unserer Waage, bildet mit der Tischoberfläche und der Mittelachse der Waage ein Dreieck. Von der Seite betrachten Josi und ich unseren Versuchsaufbau. Das geschlossene Dreieck des langen Hebels auf der linken Seite  der Waage ist als Dreieck gut zu erkennen. Das auf einer Seite offene – da das Gewicht ja in der Luft hängt –  Dreieck auf der rechten Seite, müssen wir uns zum Teil denken. Ich halte ein Holzstück hin, um zu verdeutlichen, wo es liegt. Wir messen die unterschiedliche Hebellänge und schreiben die unterschiedlichen Gewichte, die Anzahl der Tonwürfel dazu.
Abschließend will Josi die Gewichte noch einmal, bei gleicher Hebellänge ausbalancieren. Vorsichtig schiebt er die Tongewichte, bis die Waage im Gleichgewicht ist.

Er zeigt mir die beiden offenen Dreiecke – die „Übersetzung“ eben.

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