Bruchrechnen in der 5. Klasse

(Dieter Reiser, Salzburg)

Nach einem Seminar (2004) mit M. Harslem bzgl. der Frage „wie kann man Kindern das Lernen lernen?“, startete ich mit meiner damaligen 5. Klasse ein erstes Projekt, um Erfahrungen mit neuen Lernformen zu sammeln. Dieses Projekt möchte ich im Folgenden kurz skizzieren.

Grundidee:
Die Kinder fahren in 5 Schiffen (bilden 5 Gruppen) mit je 5 bis 7 Mitgliedern um die Welt. Die Mitglieder bestehen aus dem Kapitän (Gruppensprecher), der die höchsten Fähigkeiten hat, bzw. die höchste Sozialkompetenz, den Matrosen (Mitglieder mit normalen Kenntnissen) und Passagieren (Mitgliedern mit wenig Kenntnissen). Die Schiffe steuern auf ihrer Fahrt nacheinander, aber in beliebiger Reihenfolge 5 Häfen in 5 Kontinenten an (erhalten 5 Aufgabenschachteln), in welchen sie Waren (Aufgaben, auf DIN-A5-Blättern) einladen (lösen) können. Wenn alle Waren eingeladen sind, gehen sie zum Hafenmeister (Lehrer), der eine Stichprobenkontrolle macht und bei positivem Ergebnis die Fahrt durch einen besonderen Passstempel auf die Bordkarte freigibt (die Aufgabenlösungen bestätigt). Auf der Bordkarte ist das Schiff abgebildet, die Mitglieder verzeichnet und die Briefmarken mit Stempel.

Ziel:
Die Kinder erarbeiten sich selbstständig die grundlegenden Bruchrechnungs-Regeln, üben und vertiefen sie.
1. Hafen: Addieren von gleichnamigen (a) und ungleichnamigen (b) Brüchen.
2. Hafen: Subtrahieren von gleichnamigen (a) und ungleichnamigen (b) Brüchen.
3. Hafen: Multiplikation von Brüchen.
4. Hafen: Faktorenzerlegung
5. Hafen: Addition und Subtraktion von Brüchen mit Ganzzahlen.

Dauer:
2 bis 3 Wochen.

Prozess:
In jedem Hafen (Aufgabenschachtel) gibt es Regelblätter, die die zu erarbeitenden Rechnenregeln beschreiben. Sollte diese Beschreibung nicht ausreichen, kann der Kapitän, bzw.  Hafenmeister um Rat gefragt werden. Weiters gibt es dort Aufgabenblätter, welche von jedem Mitglied des Schiffs (Gruppe) gelöst werden müssen. Die Regelblätter und Aufgabenblätter müssen nach Gebrauch wieder in den Hafen zurück. Die Aufgaben und Lösungen werden in ein eigenes Arbeitsheft geschrieben. Das Team sollte sich gegenseitig Hilfe leisten. Diese Hilfeleistung ist nur als Hilfestellung zu verstehen, nicht als Arbeitsersatz. Während der Unterrichtszeit nicht gelöste Aufgaben werden zu Hause weiter bearbeitet. Es gibt also keine eigenen vom Lehrer gestellte Hausaufgaben.

Verlauf:
Nach teilweise anfänglicher Skepsis („… so ein albernes Spiel…“, „… so was Blödes…“, „…um was geht’s eigentlich…“, „…ich kapier’s nicht…“ usw.) entstand ein munteres Schaffen. Sofort wurden Mannschaften gebildet, gemalt, Kapitäne bestimmt, Mitglieder wechselten die Schiffe usw. Die neue Lernform brauchte anfangs viel Aufmerksamkeit von mir, sowohl um soziale Probleme zu lösen, als auch um Unsicherheiten im Umgang mit der offenen Lernsituation zu beseitigen. Nach zwei Wochen wurde es deutlich ruhiger. Bald merkten die Kinder, dass sie sich in ungewohnter Form selbst organisieren durften, verließen das Klassenzimmer („… weil es draußen ruhiger ist…“), suchten sich eine stille Ecke und arbeiteten dort auf selbst zusammen gestellten „Tischen“ oder einfach auf dem Boden. Andere blieben lieber alleine und lösten im Klassenzimmer die Aufgaben. Die Mädchen gingen sehr schnell mit großem Ernst an die Sache, bei manchen Buben dauerte es etwas, bis sie merkten, dass Selbstorganisation nicht etwa Nichtstun meint. Bei ihnen wurde es spätestens dann ernster, als sie andere Schiffe bereits zum dritten Hafen ausfahren sahen, während sie selbst noch im ersten Hafen tümpelten. Der Hafenmeister konnte im Prinzip das Klassenzimmer jederzeit verlassen. Gelegentlich gab es Buben, die Unruhe verursachten, weil sie nicht weiter wussten und noch nicht die Reife besaßen, kompetentere Kinder oder den Hafenmeister aktiv um Rat zu bitten, bzw. weder solche Kinder fanden, noch den Hafenmeister erreichten (weil der z.B. gerade in einem anderen Schiff die Ware kontrollieren musste). Manche Kinder setzten sich umgekehrt selbst unter Druck, weil sie sich z.B. als Kapitän überfordert fühlten und dann zu Hause entsprechend frustriert erschienen. Durch geeignete Gespräche konnten diese Probleme aber relativ leicht gelöst werden. Es wurden wirklich keine Hausaufgaben verteilt. Nur die Kinder, die mit den Aufgaben schon fertig waren, mit dem Schiff aber nicht zu neuen Häfen auslaufen konnten, weil andere Schiffsmitglieder noch nicht so weit waren, erhielten vom Hafenmeister Pyramiden-Additionsaufgaben (keine Brüche).

Ergebnis:
Am Ende der Fahrt befragte ich einzelne SchülerInnen nach ihren Erfahrungen. Sie äußerten fast durchweg, dass sie größeren Spaß dabei hatten, als mit dem üblichen Unterricht, besser lernen konnten und mehr verstanden. Auch bei den Eltern gab es eine positive Resonanz. Kinder, welche sonst eher unwillig an die Arbeit gingen, oder bisher wenig verstanden hatten, fingen plötzlich an, eifrig zu arbeiten und entwickelten sogar einen gewissen Ehrgeiz. Andererseits gab es auch Kinder, die sehr schnell arbeiteten und dann ihre Freizeit genossen (auch das muss bedacht werden).

Ausblick:
In den darauf folgenden Jahren (ich bin jetzt mit derselben Klasse auf der 8. Schulstufe angelangt) wandten wir im Fach Mathematik nur noch eine offene Lernform an – allerdings in verschiedener Ausprägung, mit verschiedenen Schwerpunkten usw. Ich werde hiervon noch berichten.

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